Wein & Philosophie
Entscheidend ist die Qualität!
Möchte nicht jeder der Wein trinkt, guten Wein trinken, angenehme Düfte und Geschmacksnuancen in sich aufnehmen? Goethes Maxime: „Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken.“ ist mehr als ein Autoritätsbeweis für dieses Anliegen.
Doch jeder Mensch hat eigene Qualitätsansprüche. Jeder hat seine besonderen Wein-Vorlieben. Und gerade beim Wein wird Qualität mehr als bei irgendeinem anderen Produkt groß geschrieben. Ob ein Wein bestimmten, objektivierten Qualitätsansprüchen gerecht wird, soll man den Fachleuten überlassen. Ob aber ein Wein dem kultivierten Geschmacksempfinden von Weinfreunden gerecht wird, ist mehr subjektiver Natur. Einer meiner Freunde sagte mir: „Für mich ist das Wichtigste, dass mir der Wein schmeckt.“
Aber ist das nicht zu wenig, zu kurz gegriffen und zu lieblos gegenüber dem Wein, dem König der Getränke? Muss man nicht wie bei kostbaren Gaben und Künsten, beim Wein ein differenziertes Interesse voraussetzen? Kann das Mühen um einen differenzierten Geschmack, um ein differenziertes Geschmacksurteil nicht auch das genussreichere für den Weinfreund sein?
Qualität ist aus philosophischer Sicht ein reiner Begriff, der noch nichts über eine bestimmte Qualität enthält. Es geht allgemein um Beschaffenheit und Eigenschaften von sehr gut bis sehr schlecht. Nach Kant ist Qualität auf Gegenstände der Anschauung gerichtet und das „Meiste bleibt der Erfahrung überlassen.“
Im allgemeinen Umgangsverständnis ist Qualität fast nur positiv aufgeladen. Mit der Orientierung auf Qualität möchte der Unternehmer seine Produkte vermarkten und der Konsument seine Ware einkaufen. Qualität ist Richtschnur für das Handeln in der Gemeinschaft. Qualität verpflichtet und soll dem Wohl der Gemeinschaft, der „Konsumentenwohlfahrt“ nach Adam Smidt (Smith?) (47) dienen. Aber es kann auch vorkommen, dass Qualität nur als Floskel gebraucht wird, ohne dass Begriff und Inhalt deckungsgleich wären.
Ist Qualität nun eine fraglose Sache, einfach zu haben? Oder ist Qualität eine Münze, die jeder drehen und wenden kann, wie er will?
Die Rechtsnormen der Weingesetze geben den Rahmen der Qualitätssicherung vor. In ihnen wird Verschnitt, Zuckerzusatz, Kellerbehandlung, Bezeichnung und anderes einheitlich geregelt.
Aber Qualität ist genau genommen ein mehrdimensionales Konstrukt. Denn es sind in der Regel eine Fülle von Kriterien notwendig, um diese bei einer Sache, einem Objekt, in unserem Falle beim Wein, genau zu bestimmen und sie messbar zu machen. Es kann dabei sein, dass sich Kriterien gegenseitig ausschließen, aber auch von einander abhängen. Aus der Summe vieler einzelner Komponenten setzt sich schließlich eine bestimmte Qualität zusammen.
Der Qualitätsbegriff ist also prinzipiell offen und gleichzeitig gebunden an sehr unterschiedliche veränderliche Faktoren, weil sich die Menschen verändern, ihre Ansprüche, ihre Interessen, ihr Geschmack, ihre Werte.
Das Einzige, das beim Wein selbst stabil ist und einzigartig, ist der Boden, die Lage, an zweiter Stelle vielleicht noch die Rebsorte. Alles andere ist ständigen Veränderungen unterworfen - denken wir allein an das Wetter eines Jahrgangs, an den Reifegrad bei der Ernte - und so muss auch eine bestimmte Qualität immer wieder neu bestimmt, immer wieder neu angestrebt und erkämpft werden.
Dennoch, beim Wein gibt es keinen Qualitätsverfall. Im Gegenteil, die Weinqualität hat sich in den letzten Jahrzehnten in Europa und weltweit ständig verbessert und ist heute auf einem beachtlichen Niveau. Im Osten, wo Jahrzehnte lang der Kommunismus das Qualitätsniveau herabgedrückt hat, ist Wein nicht selten eines der wenigen Genuss-Produkte, dessen Qualität in der Spitze mithält. Die Weinbereitung bleibt kompliziert, trotz moderner Technik.
Weinqualität beginnt schon im Weinberg und endet mit der Lagerung in Flaschen. Dass sich zum Beispiel Bukett und Aromastoffe, Restsüße und Säure optimal entwickeln, beziehungsweise ausbalancieren hängt letztlich von Menschen ab.
Qualität ist im Leben nicht isoliert. Sie ist eng verbunden mit Wert und Preis. Es geht um den Tausch- oder Verkehrswert, wenn vom Preis die Rede ist. Im Allgemeinen hängt der Preis nach der klassischen Nationalökonomie vor allem von den Produktionskosten ab. Doch das ist beim Wein eben oft nicht nur der Fall.
Neben der ökonomischen, materiellen Seite von Wert und Preis beeinflussen auch andere Werte den Preis bestimmter Weine mit: ideelle Werte, traditionelle Werte, bürgerliche Werte, christliche Werte. An ein Produkt muss geglaubt werden können. Ein Produkt muss geliebt werden. Ein Produkt muss Hoffnung machen.
Die Menschen sind auf der Suche nach Authentizität, nach kulturellen Prägungen, nach kollektiven Mythen, nach Traditionen in denen man sich wiederfindet, nach Namen und Personen, die Orientierung und Leitbild sein können. Das alles kann den Wert eines Weines verändern und mitbestimmen.
Im philosophischen Sinne kann der Wert einer Flasche Wein grundsätzlich als Resultat einer evaluierenden Beurteilung gelten und damit nur relativ sein.
Qualität hat ihren Preis, heißt es. In Deutschland und Mitteleuropa hat sich ein sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis herausgebildet, das zwischen drei und zwanzig Euro oft sehr gute Weinqualitäten anbietet. Dagegen können die Preisschwankungen in Frankreich zum Beispiel enorm sein.
In Frankreich wird die gesamte Weinproduktion durch staatliche Verordnung nach Qualitätsstufe und Prüfungsergebnis in mehrere Güteklassen eingestuft. Diese Güteklassen sind von unten nach oben: die Vins de Table, die Vins de Pays, die Vins Delimites de QualiteSuperieure sowie die Vins d`Appelation d`Origine Controlee. Die Unterteilung geht weiter als die EU-Einstufung, welche nur zwei Weintypen feststellt, Tafelweine und Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete. Bei der Klassifizierung der AOC-Appelationen spielen die Lagen beziehungsweise Terroirs eine herausragende Rolle. Allerdings muss man wissen, dass es keine Klassifizierungen der AOC-Appelationen untereinander gibt und auch keine allgemeine Klassifizierung der Gran Crus oder Crus. Denn einen Wein zum Beispiel aus dem Medoc kann man einfach nicht mit einem Wein aus Pomerol vergleichen.
In Deutschland galt generell bis 2002 eine von der Herkunft völlig unabhängige, allein nach den objektiven Kriterien des fertigen Weines gültige Klassifizierung. Im allgemeinen werden danach Qualitätsweine in Qualitätsstufen mit Qualitätswein, Kabinet, Spätlese, AusleseBeerenauslese und Trockenbeerenauslese sowie Eiswein gekennzeichnet. Manche Winzer verzichten allerdings auf die Stufung und geben ihren Qualitätsweinen eigene Bezeichnungen. Weine der genannten oberen Qualitätsstufen werden nur in 0,75 Literflaschen angeboten. Jeder Qualitätswein in Deutschland muss aus einem der dafür bezeichneten 13 Anbaugebiete kommen. Jeder dieser Weine hat eine „Amtliche Qualitätsweinprüfung“ durchlaufen. Dies bezeugt die auf dem Etikett abgedruckte Prüfnummer (A.P.Nr.). Weitere Qualitätskennzeichen in Deutschland sind das am weitesten verbreitete „Deutsche Weinsiegel“ (gelb, grün, rot), oder die Gütezeichen der Länder, zum Beispiel das Gütezeichen für badischen Wein, das Gütezeichen für Frankenwein. Weitere Auszeichnungen sind die Prämierungsstreifen der DLG Bundesweinprämierung (Schwarz, Weiß, Silber, Gold) und die Weinprämierungen der Anbaugebiete. Je genauer auf dem Etikett die Herkunft und andere Merkmale ausgewiesen sind, umso einmaliger, individueller ist der Wein und umso besser beurteilbar für den Konsumenten. Der Weinfreund wird aber über diese amtlichen Angaben hinaus sicher durch eigene Verkostung und Beurteilung nach seinen Vorlieben und seinem Geschmacksempfinden entscheiden.
Die oben angeführte deutsche Klassifizierung wurde allerdings durch das neue Klassifizierungsstatut des VDP von 2002 teilweise aufgebrochen, was meines Erachtens aber zu einer Bereicherung der Qualitätskriterien in Deutschland geführt hat.
Auch der Markt (Klein- und Großmärkte) mit seinen Wettbewerbs- und Verdrängungswirkungen hat Einfluss auf die Qualität. Kleinmärkte haben eher Komplementärwirkungen und können Versorgungs- und Qualitätslücken ergänzen. Großmärkte besitzen eine stärkere Wettbewerbswirkung: Qualitätsstandards, Qualitätsvergleiche, Qualitätsinnovationen haben hier eine ungleich größere Bedeutung und Wirkung als in Kleinmärkten. Es ist daher verständlich, dass sich Winzer in den verschiedensten Vereinigungen zusammenschließen, um Marktchancen besser nutzen zu können. Trotzdem bleibt es nach wie vor schwierig, Marktwirkungen - auch wenn sie mit Qualität untersetzt sind - fundiert einzuschätzen.
Größere Chancen haben immer diejenigen, die das Beste, das Besondere und Einzigartige anstreben und damit einen außergewöhnlichen Weingenuss offerieren.
Beispiele unter vielen Bemühungen, die über den Standart hinausgehen, sind:
- Führende deutsche Weingüter, die sich im „Verband deutscher Qualitätsweingüter“ (VDP) zusam-mengeschlossen haben, wie die Weingüter Schloss Johannesberg am Rhein, Staatlicher Hofkeller, Bürgerspital und Juliusspital in Würzburg, Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach und viele andere private Weingüter. 2002 gaben sich die etwa 200 Qualitätsweingüter des VDP ein neues Statut der Klassifizierung ihrer Weine, wodurch eine Modifizierung des Grand Crus-Gedankens für Deutschland angestrebt wird.
Die Weingüter bringen nun ihre Spitzenprodukte (von Riesling- und Spätburgunder-Weinen) mit der Bezeichnung „Grosse Weine“ oder „Erstes Gewächs“ als Lagenweine auf den Markt. Diese besonderen Weine kommen aus streng klassifizierten Spitzenlagen und zeichnen sich durch eine herausragende geschmackliche Güte und den eigenständigen Charakter des Terroirs aus. Darin zeigt sich auch die Tendenz, die stärker auf Eigenschaften des Terroirs als auf Oechsle setzt. Die Weine werden darüber hinaus durch Qualitätsanforderungen im Weinberg, bei der Ernte sowie durch die sensorische Prüfung ausgewählt. So müssen die „Großen Gewächse“ letztlich ihre Qualität in drei Kategorien von Kriterien nachweisen.
Die Weine erkennt man an den Lagennamen auf dem Etikett in Verbindung mit dem Traubenadlerdes VDP.
Die nicht mit Lagennamen gekennzeichneten Weine bezeichnen diese Güter mit Orts- und Gutsweinen, die die Basis des Sortiments bilden.
- Die Winzervereinigung der CHARTA im Rheingau von 1983 (ebenfalls Mitglied des VDP) vertreibt eine andere Klassifizierung ihrer Qualitätsweine, die nicht zu den hier „Ersten Gewächsen“ zählen, aber ausschließlich qualitativ gute Rieslingweine betreffen, als Charta-Weine. In der Bodenprägung der Rheingauer Schlegelflasche sowie an der Charta-Kapsel und am Etikett findet sich das Emblem der Charta, der romanische Doppelbogen.
- Die Winzervereinigung GOSSER RING an der Mosel seit 1908 (ebenfalls Mitglied des VDP) wurde auf Initiative des Trierer Oberbürgermeisters Albert von Bruchhausen gegründet. Auch hier lag der Fokus von Anfang an auf den Zusammenhang von Qualität und Weinverkauf und hat sich heute auf die Anforderungen einer globalisierten Welt ausgeweitet. Für die 31 Mitglieder gilt wie vor hundert Jahren die Regel: „Aus Tradition der Qualität verpflichtet.“
Tradition ist dabei so etwas wie die Weitergabe des Feuers, etwas Lebendigem, dynamisches Denken und Handeln, das die alten bewährten Kenntnisse und Tätigkeiten des Weinbaus und der Weinbereitung weiter trägt und mit neuen wissenschaftlich-technischen Errungenschaften verbindet.
- Andere Weinerzeuger modifizieren diese Qualitätsansprüche und passen sie ihren konkreten Bedingungen an, so etwa die Winzergenossenschaft Deidesheim mit Riesling-Editionen von ausgewählten Lagen. Grundlage der Qualität sind hier neben der bereits oben angeführten Traubenqualität und dem Mostgewicht von 90 Oechsle, die mindestens über zehn Jahre alten Rebstöcke und darüber hinaus natürlich eine entsprechende Kellerwirtschaft.
- Ähnliche Qualitätsansprüche stellen zum Beispiel auch Ernst Loosen oder Raimund Prüm von der Mosel an ihre Rieslingsweine. Die sensible Pflege der teilweise über hundert Jahre alten, tief wurzelnden Rebstöcke sind eine der Voraussetzungen für einen Spitzenwein, in dem auch das Besondere der Lage zum Ausdruck kommt. „Mit seinen starken Weinen aus uralten Rebstöcken hat Ernst Loosen bewiesen, dass geringe Erträge auch in Deutschland zu intensiveren, komplexen Weinen führen können,“ schreibt Hugh Johnson.
- In Österreich zum Beispiel, stellt die Winzergenossenschaft „Vienea Wachau“ ebenfalls solche Qualitätsanforderungen an ihren Weinbau und hat eigene Qualitätskategorien eingeführt, die unter der Bezeichnung „Steinfeder“, „Federspiel“, „Smaragd“ vermarktet werden.
- Speziell in Wien ist zweifellos Fritz Wieninger der Pionier des Qualitätsweines. Er sagt: „Ich habe mich schon sehr früh für den Weg der Qualität und der Professionalität entschieden. Wichtig ist mir aber auch, das Wienerische im Wein umzusetzen.“ Dazu gehört für ihn in erster Linie die qualitätsorientierte Arbeit im Weingarten, die die Besonderheiten Wiens voll zur Geltung bringen, wie die Bodenqualitäten der Spitzenlagen am Nußberg und am Bisamberg oder die spezifischen klimatischen Bedingungen mit pannonischem Einfluss.
Den Enthusiasmus für einen einzigartigen Wiener Qualitätswein teilen mit Fritz Wieninger auch die befreundeten Wiener Winzer Rainer Christ, Michael Edlmoser und Richard Zahel, die sich seit Anfang 2006 zur Gruppe WIENWEIN zusammengeschlossen haben. Diesen Wiener Spitzenwinzern ist es zu verdanken, dass seit einigen Jahren neben dem traditionellen Heurigen, Qualitätswein aus Wien manifest wurde.
- Wenn vom Boden als das wirklich Einzigartige die Rede war, so hat sich nicht zuletzt auch in Deutschland durchgesetzt, durch akribische Arbeit im Weinberg und im Weinkeller die Geschmacksbesonderheiten der einzelnen Lage herauszuarbeiten und im Wein zur Geltung zu bringen. Als einer der Pioniere dieser Bewegung, die sich inzwischen viele Winzer zur Aufgabe gemacht haben, soll hier Helmut Dönnhoff aus Oberhausen genannt werden. Helmut Dönnhoffs Weine gehören seit Jahren zu den besten in Deutschland, unter anderem „fantastische Rieslinge in allen Qualitätsstufen“ wie Hugh Johnson schreibt.
Die angeführten Beispiele sind unter persönlichem Blickwinkel gewählt und bedeuten keine Rangfolge. Es ist mir bewusst, dass die Qualitätsarbeit vieler Winzer eine Würdigung verdiente.
„Der einzige und große Nutzen der Beispiele, dass sie die Urteilskraft schärfen,“ schreibt Kant.
In den alljährlichen Prämierungen und Auszeichnungen wird dieses Mühen vieler Winzer um Qualität aber entsprechend belohnt.
Die differenzierten Kriterien der Klassifizierung in Deutschland schaffen meines Erachtens mehr Chancengleichheit unter den Winzern. Wohl haben „große“ Lagen von vornherein einen Vorteil, aber auch Weine aus weniger begünstigten Lagen können so durch herausragende Arbeit des Winzers zu hohen Ehren kommen.
Eigener Anspruch, Experimentierfreude und die Resonanz auf das Produkt werden immer wieder zu neuen Qualitätsweinen führen. Denn Wein bedeutet in jeder Hinsicht Vielfalt, Vielfalt, wie sie die Natur selbst hervorbringt.
Obwohl die Menschen zur Uniformität neigen und nicht selten gleich bleibende Qualität haben wollen, wie etwa beim Cognac oder Whisky, ist gerade beim Wein die reizvolle Individualität, die Einzigartigkeit, die Authentizität, das Markenzeichen für Qualität. Vielfalt beim Wein ist das Naturgemäße und daher auch das Wünschenswerte. Um sich in dieser Vielfalt orientieren und auch bewusst genießen zu können, sollte man versuchen, sich einige Kenntnisse über Wein anzueignen. Schon Carl Zuckmayer forderte zu seiner Zeit eine „differenzierte Weinkenntnis“ und zwar mit Recht. Weinkenntnis ist unverzichtbar für einen vollkommenen Weingenuss. Kein Blindflug bringt den Weinfreund ans genussreiche Ziel.